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Eine befriedigende Antwort auf die Frage geben zu wollen, was Wissenschaft ist, wäre bei der gebotenen Kürze vermessen. Trotzdem ist es unabdingbar für die Auseinandersetzung mit der Ursprungsfrage, einige grundlegende Aspekte zu nennen. Das liegt unter anderem daran, daß sich beide Seiten, Vertreter und Kritiker des Evolutionsparadigmas, mitunter Unwissenschaftlichkeit vorwerfen.1)
Eine interessante Beobachtung liefert der Wissenschaftsphilosoph Alan Chalmers in der Einleitung zu seinem in die Wissenschaftstheorie einführenden Werk. Er stellt heraus, daß (Natur-)Wissenschaft in der Gesellschaft als besonders vertrauenswürdig wahrgenommen wird:
Science is highly esteemed. Apparently it is a widely held belief that there is something special about science and its methods. The naming of some claim or line of reasoning or piece of research „scientific“ is done in a way that is intended to imply some kind of merit or special kind of reliability. But what, if anything, is so special about science? [1Chalmers, Alan F. (1999): What is this thing called Science?, Open University Press, Berkshire, UK], S. xix
Wissenschaft hat hinsichtlich der Autorität, die ihre Aussagen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung genießen, der Religion ganz eindeutig den Rang abgelaufen. Das bedeutet nicht, daß Wissenschaft zu einer Ersatzreligion geworden wäre, auch wenn das immer wieder einmal thematisiert wird. Sie scheint allerdings tatsächlich manche Aufgaben in der Gesellschaft übernommen zu haben, die vormals der Religion zustand. Allerdings taugt, wie noch zu zeigen sein wird, eine wissenschaftliche Aussage gerade nicht dazu, dogmengleich als existentielles Fundament hingenommen zu werden, da jede Erkenntnis der Wissenschaften jederzeit durch neu hinzugekommenes Wissen notwendiggewordenen Veränderungen unterworfen werden kann.
Eine einfache und populäre Definition von Naturwissenschaft, die sich aber bei näherer Betrachtung nicht aufrechterhalten läßt, ist diejenige der National Academy of Sciences der USA:
Science is a particular way of knowing about the world. In science, explanations are limited to those based on observations and experiments that can be substantiated by other scientists. Explanations that cannot be based on empirical evidence are not part of science.2) [2NAS, (Hg.) (1999): Science and Creationism: A View from the National Academy of Sciences, National Academy Press, Washington, DC], S. 1, „Introduction“
Diese wohl am weitesten verbreitete „Definition“ von Naturwissenschaft, die Beschränkung auf empirische Belege und die damit suggerierte Objektivität, hat deutlich mehr Schwierigkeiten, als das auf den ersten Blick scheint. Chalmers schreibt dazu:
As we shall see, the idea that the distincive feature of scientific knowledge is that it is derived from the facts of experience can only be sanctioned in a carefully and highly qualified form, if it is to be sanctioned at all. We will encounter reasons for doubting that facts acquired by observation and experiment are as straightforward and secure as has traditionally been assumed. We will also find that a strong case can be made for the claim that scientific knowledge can neigher be conclusively proved nor conclusively disproved by reference to the facts, even if the availabiliy of those facts is assumed. Some of the arguments to support this skepticism are based on an analysis of the nature of observation and on the nature of logical reasoning and its capabilities. Others stem from a close look at the history of science and contemporary scientific practice. [1Chalmers, Alan F. (1999): What is this thing called Science?, Open University Press, Berkshire, UK], S. xxi
Die Schwierigkeiten fangen also dabei an, daß Beobachtung und Experiment keineswegs so einfach und zwangsläufig Ergebnisse (vulgo „Fakten“) liefern, wie wir uns das normalerweise vorstellen. Das ist etwas, mit dem jeder experimentelle Wissenschaftler vertraut ist.3) Selbst wenn man sich hier auf eine gemeinsame Lesart einigen kann, gehen die Probleme weiter: Oft ist es gar nicht möglich, eindeutig eine Theorie zu belegen oder zu widerlegen, weil die dazu notwendigen Experimente nicht bzw. zumindest um aktuellen Zeitpunkt nicht durchführbar sind.4) Schließlich gibt es noch die Grenzen logischer Argumentation und die Erfahrungen der Geschichte der Wissenschaften, die nahelegen, daß das, was wir für wissenschaftlich „erwiesen“ halten, zuweilen weit davon entfernt ist, im eigentlichen Sinne gesichertes Wissen zu sein.
Eine wesentlich formalere und umfassendere Definition des Begriffs „Wissenschaft“ gibt Hans Poser ausgehend von Kants Definition:
Doch was ist Wissenschaft? Kant definiert auf der ersten Seite der Vorrede seiner Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft:
„Eine jede Lehre, wenn sie ein System, d.i. ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes der Erkenntnis sein soll, heißt Wissenschaft.“
Diese Definition ist sehr aufschlußreich, enthält sie doch wesentliche Elemente dessen, was wir mit Wissenschaft verbinden: Erstens und vor allem geht es um Erkenntnis; und im Begriff der Erkenntnis ist bereits enthalten, daß die Aussagen einer Wissenschaft begründet sein müssen, weil eine Erkenntnis eine als wahr nachgewiesene Aussage ist. Zweitens stellt Kants Definition fest, daß es nicht mit einzelnen Aussagen getan ist, so gut begründet sie sein mögen, sondern daß diese Aussagen ein System bilden müssen; Wissenschaft wird also verstanden als das Resultat eines wie auch immer gearteten methodischen Verfahrens, das zu einem Zusammenhang der Aussagen untereinander führt. Ein drittes Element der Definition besteht darin, daß dieses System eine argumentative Struktur haben muß; eben dies ist mit der These Kants gemeint, es müsse sich um ein „nach Prinzipien geordnetes Ganzes“ der Erkenntnis handeln. Wissenschaft, so verstanden, ist Ausdruck eines Begründungsanspruchs, eines Rationalitätsanspruchs, der begann, als griechische Denker auf den lebenspraktisch gänzlich überflüssigen Gedanken kamen, den aus Feldvermessungen wohlbekannten Satz des Pythagoras zu beweisen! Wissenschaft, wo immer und wie immer sie betrieben wird, zielt also ab auf Aussagensysteme oder Theorien, die begründet sind. [3Poser, Hans (2001): Wissenschaftstheorie. Eine philosophische Einführung, Reclam, Stuttgart], S. 21f., Hervorhebungen im Original
So schön und glatt diese Definition auch sein mag, auch Poser schränkt im Folgenden ihre Reichweite deutlich ein. Er betont wie Chalmers die Abhängigkeit unserer Beobachtungen von einer a priori zugrundegelegten Theorie5):
Eine vollständige Rückführung auf theorielose Beobachtung ist unmöglich. [3Poser, Hans (2001): Wissenschaftstheorie. Eine philosophische Einführung, Reclam, Stuttgart], S. 90
Damit ist aber auch die Rückführung der Wissenschaften auf beobachtbare „objektive Tatsachen“ als Mythos enttarnt. In diesem Sinne schreibt Poser:
Jede Beobachtung ist eine Beobachtung im Lichte einer Theorie. [3Poser, Hans (2001): Wissenschaftstheorie. Eine philosophische Einführung, Reclam, Stuttgart], S. 126
Das beginnt bei einer Theorie zur Funktion unserer Sinnesorgane und geht weiter mit „Meßtheorien“, wenn wir zur Erweiterung unserer direkten Sinneswahrnehmungen auf Hilfsmittel zurückgreifen. Das bedeutet nicht, daß unsere Sinneswahrnehmungen oder die zur Hilfe genommenen Gerätschaften fehlerhaft wären. Es zeigt lediglich, die Komplexität der Thematik und die Naivität der Behauptung, man könne etwas auf beobachtbare „objektive Tatsachen“ gründen.
Noch einen Schritt weiter geht Karl Popper, der Begründer des „kritischen Rationalismus“ und Urheber des nach wie vor grundlegenden Werkes zur Wissenschaftstheorie, „Logik der Forschung“ (erste Aufl. 1935, 10. Aufl. 1994). Er beschreibt zum Verhältnis von Beobachtung/Experiment und Theorie:
Die rationalistische Tradition, die Tradition der kritischen Diskussion, ist die einzig praktikable Methode, unser Wissen zu erweitern – natürlich nur unser Vermutungs- oder Hypothesenwissen. Es gibt keine andere Methode. Insbesondere gibt es keine Methode, die von Beobachtungen oder Experimenten ausgeht. Bei der Entwicklung der Wissenschaft spielen Beobachtungen und Experimente nur die Rolle von kritischen Argumenten. Das ist eine wichtige Rolle; doch die Bedeutung von Beobachtungen und Experimenten hängt gänzlich von der Frage ab, ob sie dazu benutzt werden dürfen, um bestehende Theorien zu kritisieren. [4Miller, David (Hg.) (1997): Karl R. Popper: Lesebuch, Mohr Siebeck, Tübingen], Kapitel 1: „Die Anfänge des Rationalismus“, S. 9; Hervorhebungen im Original
Zentrales Element der Entwicklung der Wissenschaften ist nach Popper die Kritik bestehender Theorien und ihrer Grundlagen. Beobachtungen und Experimenten kommt ihre Bedeutung in dieser Vorstellung nur in dem Maße zu, wie sie zur Kritik bestehender Theorien herangezogen werden dürfen und können. Wie noch weiter unten ausgeführt werden wird, gibt es für Popper mehrere Quellen der Erkenntnis, darunter auch Beobachtung und Experiment, aber keine davon mit Autorität.
Noch deutlicher wird Poser, wenn es um die Frage der Wahrheit in den empirischen Wissenschaften geht:
Nicht nach Wahrheitsbeweisen ist in den Erfahrungswissenschaften zu suchen, denn diese sind dort grundsätzlich unmöglich; vielmehr müssen sogenannte Naturgesetze ausschließlich als Hypothesen betrachtet werden, die so lange beibehalten werden, als sie nicht falsifiziert sind. [3Poser, Hans (2001): Wissenschaftstheorie. Eine philosophische Einführung, Reclam, Stuttgart], S. 120
Das heißt konkret, daß die Wahrheitsfrage nicht von den empirischen Wissenschaften beantwortet werden kann und sich damit ihrem Aussagen- und Gültigkeitsbereich entzieht.
Drei knappe Statements sollen diesen kurzen Gang durch die Wissenschaftstheorie abschließen. Sie fassen einige für die Behandlung der Frage nach der Wissenschaftlichkeit von Theorien wesentliche Aspekte zusammen.
Ein empirisch-wissenschaftliches System muß an der Erfahrung scheitern können. Popper, Logik der Forschung, zitiert nach [3Poser, Hans (2001): Wissenschaftstheorie. Eine philosophische Einführung, Reclam, Stuttgart], S. 120
Dieser berühmte Satz des „Vaters der modernen Wissenschaftstheorie“ Karl Popper faßt dessen gesamtes Programm zusammen. Die Frage, inwieweit Evolutionsmodell bzw. Schöpfungsmodell an diesem Kriterium scheitern, ist Gegenstand anhaltender Diskussionen.
Zwei weitere Aussagen, beide von Hans Poser, stellen die Funktionsweise von Wissenschaft klar heraus, wobei offen bleiben muß, inwieweit sie die Realität oder eher einen abstrakten Idealzustand wiederspiegeln:
Wir akzeptieren einen Beobachtungssatz vorderhand als wahr, weil und wenn es zur Zeit keine ernsthaften Einwendungen gibt. [3Poser, Hans (2001): Wissenschaftstheorie. Eine philosophische Einführung, Reclam, Stuttgart], S. 128
Was sind ernsthafte Einwendungen? Hier gibt es gerade bei der Ursprungsfrage große Differenzen zwischen den verschiedenen Lagern. Und auch das letzte Statement ist zwar formal richtig, bietet aber in der Praxis Anlaß für heftige Diskussionen:
Festsetzungen müssen stets der Änderung aufgrund stichhaltiger Kritik offenstehen. [3Poser, Hans (2001): Wissenschaftstheorie. Eine philosophische Einführung, Reclam, Stuttgart], S. 132
Ein häufig von seiten der ID-Vertreter gehörter Vorwurf an die Wissenschaftsgemeinde ist gerade, daß das Evolutionsmodell stichhaltiger Kritik nicht offenstehe. Die umgehende Replik darauf ist, daß die Kritik seitens ID eben nicht stichhaltig sei.
Die Position des „Kritischen Rationalismus“ ist eng mit der Person Karl Popper und mit seiner Philosophie, die u.a. in seinem Hauptwerk „Logik der Forschung“ dargelegt ist, verbunden. Der Kritik an und dem Hinterfragen einer Idee kommt nach Popper zentrale Bedeutung zu. Wenn eine Idee jede Kritik übersteht, die wir an sie herantragen können, dann haben wir keinen Grund anzunehmen, daß die Idee nicht richtig ist.
Popper wendet sich klar gegen jegliche Autorität von Erkenntnisquellen. Er erweist einer der Grundfragen der klassischen Philosophie, der nach der sicheren Grundlage unsere Erkenntnis, eine klare Absage: Seiner Ansicht nach gibt es keine solche sichere Grundlage, und sie wird auch nicht benötigt.
Nachfolgend sollen einige der Kernaussagen der von Popper entwickelten Position des Kritischen Rationalismus aus den Quellen heraus aufgeführt werden:
Im Hinblick auf Fehler ist wiedergutmachen wichtiger als vorbeugen; das ist der Kern der Philosophie der menschlichen Erkenntnis, die als Kritischer Rationalismus bekannt ist. Diese Philosophie, obgleich in einigen Punkten von früheren Philosophen vorweggenommen, zum Beispiel von Hume, Kant, Whewell und Peirce, wurde im letzten halben Jahrhundert fast ausschließlich von Karl Popper und einer kleinen Zahl seiner Studenten und Schüler entwickelt. Anders als frühere Philosophien betont sie, daß das Wachstum der menschlichen Erkenntnis auf Vermutungen aufgebaut ist, die der Kritik unterworfen werden. Popper selber schreibt darüber, daß die Erkenntnis sich durch eine Folge von Vermutungen und Widerlegungen entwickelt, von vorläufigen Problemlösungen, die durch kompromißlose und gründliche Prüfungen kontrolliert werden. Im Kritischen Rationalismus gibt es wenig Raum für die ständig im Vordergrund stehenden Sorgen der traditionellen Philosophie: Ruht unsere Erkenntnis auf einer sicheren Grundlage? Und wenn ja, auf welcher? Das ist nicht nur deshalb so, weil in den Augen des Kritischen Rationalismus unser Wissen niemals sicher begrundet, sondern frei geäußert statt fest verankert ist; sondern es ist auch deshalb so, weil mit der festen Verankerung um nichs auf der Welt etwas gewonnen wäre. Für einen Kritischen Rationalisten ist wichtig, ob die zur Diskussion stehenden Vermutungen richtig sind, und nicht, ob es Gründe gibt anzunehmen, daß sie richtig sind. Wenn eine Vermutung alle Einwände übersteht, die wir gegen sie erheben, dann haben wir auch keinen Grund anzunehmen, daß sie nicht richtig ist. Ebensowenig, sagt der Kritische Rationalist, gibt es Gründe, nicht anzunehmen, daß sie richtig ist: wir können annehmen, was wir wollen, solange es keinen Grund gibt anzunehmen, daß es falsch ist. In diesem Sinne recht zu haben genügt vollkommen, wie Popper das vielleicht als erster ganz deutlich gesehen hat; es genügt für die abstakte Spekulation über das Universum, das wir bewohnen, und auch für das praktische Leben in diesem Universum. Nur höchst selten wissen wir, daß wir recht haben; aber selbst dann brauchen wir das garnicht zu wissen. [4Miller, David (Hg.) (1997): Karl R. Popper: Lesebuch, Mohr Siebeck, Tübingen], Einleitung des Herausgebers, S. VIII
Was sind nun aber wirklich die Quellen unserer Erkenntnis? Ich glaube, die Antwort auf diese Frage lautet: Es gibt Quellen der verschiedensten Art, aber es gibt keine Erkenntnisquelle, die Autorität besitzt. [4Miller, David (Hg.) (1997): Karl R. Popper: Lesebuch, Mohr Siebeck, Tübingen], Kapitel 3: „Erkenntnis ohne Autorität“, S. 31
Hervorhebungen im Original
Die tranditionelle Frage [nach den Quellen unserer Erkenntnis] war und ist noch immer: 'Welches sind die besten Qullen unserer Erkenntnis, die verläßlichsten Quellen – Quellen, die uns nicht in die Irre führen werden und an die wir, wenn wir im Zweifel sind, als eine letzte Instanz appellieren können?' Ich schlage vor, davon auszugehen, daß es solche idealen und unfehlbaren Quellen der Erkenntnis ebensowenig gibt wie ideale und unfehlbare Herrscher, und daß alle 'Quellen' unserer Erkenntnis uns manchmal irreleiten. Und ich schlage vor, die Frage nach den Quellen unserer Erkenntnis durch eine ganz andere Frage zu ersetzen: 'Gibt es einen Weg, Irrtümer zu entdecken und auszuschalten?'. [4Miller, David (Hg.) (1997): Karl R. Popper: Lesebuch, Mohr Siebeck, Tübingen], Kapitel 3: „Erkenntnis ohne Autorität“, S. 32f.
Hervorhebungen im Original
Wie so viele autoritäre Fragen, so ist auch die Frage nach den Quellen der Erkenntnis eine Frage nach der Herkunft. Sie fragt nach dem Ursprung unserer Erkenntnis in dem Glauben, daß die Erkenntnis sich durch ihren Stammbaum legitimieren könne. Die (oft unbewußte) metaphysische Idee, die ihr zugrunde liegt, ist die einer rassisch reinen Erkenntnis, einer unverfälschten Erkenntnis, einer Erkenntnis, die sich von der höchsten Autorität, wenn möglich von Gott selbst ableitet, und der daher die Autorität eines eigenen Adels innewohnt. Meine abgeänderte Fragestellung: 'Was können wir tun, um Irrtum aufzudecken?' ist der Ausfluß der Überzeugung, daß es solche reinen, unverfälschten und unfehlbaren Quellen nicht gibt, und daß man die Frage nach Ursprung und nach Reinheit nicht mit der Frage nach Gültigkeit und nach Wahrheit verwechseln darf. [4Miller, David (Hg.) (1997): Karl R. Popper: Lesebuch, Mohr Siebeck, Tübingen], Kapitel 3: „Erkenntnis ohne Autorität“, S. 33
Hervorhebungen im Original
Die richtige Antwort auf meine Frage: 'Auf welche Weise haben wir Aussicht, Irrtum zu erkennen und auszuschalten?' scheint mir zu sein: 'Durch Kritik an den Theorien und Vermutungen anderer und – falls wir uns dazu erziehen können – durch Kritik an unseren eigenen Theorien und spekulativen Lösungsversuchen.' (Eine solche Kritik der eigenen Theorien ist zwar höchst wünschenswert, aber nicht unerläßlich; denn wenn wir nicht selbst dazu imstande sind, werden sich andere finden, die es für uns tun.) Diese Antwort faßt eine Einstellung zusammen, die man 'Kritischen Rationalismus' nennen könnte. [4Miller, David (Hg.) (1997): Karl R. Popper: Lesebuch, Mohr Siebeck, Tübingen], Kapitel 3: „Erkenntnis ohne Autorität“, S. 33
Hervorhebungen im Original
Schon aus der oben zitierten Passage aus Hans Posers Einführung in die Wissenschaftstheorie [3Poser, Hans (2001): Wissenschaftstheorie. Eine philosophische Einführung, Reclam, Stuttgart] geht klar hervor, daß die Wissenschaften ein argumentatives System zum Ziel haben, das Erklärungen unserer Beobachtungen liefern kann und das in sich selbst möglichst konsistent ist:
Wissenschaft, wo immer und wie immer sie betrieben wird, zielt also ab auf Aussagensysteme oder Theorien, die begründet sind. [3Poser, Hans (2001): Wissenschaftstheorie. Eine philosophische Einführung, Reclam, Stuttgart], S. 21f., Hervorhebungen im Original
Gleichzeitig gilt die ebenfalls schon oben zitierte Erkenntnis, daß es keine ultimativen Begründungen geben kann, da unsere (auf Beobachtung ruhende) Erkenntnis nie voraussetzungsfrei ist:
Jede Beobachtung ist eine Beobachtung im Lichte einer Theorie. [3Poser, Hans (2001): Wissenschaftstheorie. Eine philosophische Einführung, Reclam, Stuttgart], S. 126
Mit Popper können wir aber festhalten, daß es für eine Erklärung, die über lange Zeit und trotz vieler Überprüfungen nicht widerlegt wurde, keinen Grund gibt anzunehmen, daß sie nicht richtig sei.6)
Aufgabe und Ziel der Wissenschaften ist es also, die Gesamtheit unserer Beobachtungen möglichst gut in einem konsistenten System zu vereinen. Insbesondere die empirischen Wissenschaften beschränken sich dabei meist auf die Erforschung von Ursache-Wirkungs-Beziehungen und daraus folgend der Formulierung von Gesetzmäßigkeiten.7) Deshalb schränken sie sich häufig auf rein innerweltliche (immanente) Ursachen ein.8) Das ist per se keine Aussage über die Existenz „übernatürlicher Wesen“ welcher Gestalt auch immer. So gesehen schweigt die Wissenschaft über diese Frage, da sie ihr grundsätzlich nicht zugänglich ist.
Da allerdings, wo die Annahme über konkrete Handlungen eines göttlichen Wesens mit den Erkenntnissen der Wissenschaften kollidiert bzw. wo die Wissenschaften eine solche Annahme als nicht notwendig ansehen, da sie rein innerweltliche Ursachen als hinreichende Erklärung heranziehen können, kann es zum Konflikt kommen. Grundsätzlich bleibt festzuhalten: Die Wissenschaften bemühen sich des „methodischen Naturalismus“ als Werkzeug, zur Weltanschauung wird er ggf. erst in den Ansichten der jeweiligen Person, die als Wissenschaftler tätig ist (s.u.).
Zusammenfassung: Aufgabe und Ziel der Wissenschaften ist die Formulierung von Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien (vulgo: Mechanismen), die unsere Beobachtungen erklären können. Die Kriterien, nach denen derartige Mechanismen formuliert werden, sollen im Folgenden vorgestellt werden.
Es gibt eine Reihe von Kritierien, die für gewöhnlich angeführt werden, die zusammengenommen die Wissenschaftlichkeit einer These sicherstellen sollen. Dabei gilt, daß die zur Debatte stehende These umso wissenschaftlicher ist, je mehr dieser Kriterien sie erfüllt. Die Kriterien im Einzelnen:
Sicherlich gilt auch hier, daß die Beurteilung, inwieweit eine gegebene These die Kriterien im Einzelnen erfüllt, eine subjektive Komponente beinhaltet. Sparsamkeit und Nützlichkeit sind solche Kriterien, für die es schwerlich klare Definitionsgrenzen gibt, aber auch die Progressivität ist bis zu einem gewissen Grad mit Subjektivität behaftet.
Die Subjektivität oder eher Unschärfe zumindest einiger der aufgeführten Kriterien wird insbesondere in der Diskussion um kreationistische Ansichten deutlich, wen die Anhänger kreationistischer Ideen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen, das Evolutionsparadigma anhand dieser Kriterien zu diskreditieren und die Gleichstellung ihrer eigenen Ideen oder gar deren Überlegenheit zu demonstrieren.
Gerade von Seiten der Fundamentalkritiker der Evolution wird immer wieder wahlweise die Behauptung aufgestellt, das Evolutionsparadigma halte sich zwar an den methodischen Naturalismus, aber das sei gerade auch das Problem, das für die gesamten Wissenschaften zu überwinden sei, oder alternativ, Evolution sei eine Weltanschauung, aber keine wissenschaftliche Theorie.
Zur letztgenannten Thematik, inwieweit Evolution eine Weltanschauung sei, quasi eine säkulare Religion, vgl. insbesondere die Behandlung bei Michael Ruse [5Ruse, Michael (2003): Is Evolution a Secular Religion?, Science 299:1523-1524, 6Ruse, Michael (2005): The Evolution-Creation Struggle, Harvard University PRess, Cambridge, MA]. Hier sollen zwei Aspekte betrachtet werden: Hat Wissenschaft weltanschauliche Grundlagen? Was ist die Reichweite, was sind die Grenzen von Wissenschaft und ihren Erklärungen?
Zunächst einmal: Das Nachdenken über das Wesen der Wissenschaft gehört klar zum Verantwortungsbereich der Philosophie. Natürlich kann man die Kriterien für Wissenschaftlichkeit wiederum auf sich selbst anwenden, und das wird durchaus gemacht. Es muß nur klar sein, daß ein Nachdenken über Wissenschaftlichkeit in grundsätzlichen Aspekten den Boden empirisch nachprüfbarer Dinge verläßt. Sicherlich liefert uns die Wissenschaftsgeschichte wertvolle Hinweise, wie Wissenschaft praktiziert wurde, und daraus folgend wiederum Hinweise, wie Wissenschaft „funktioniert“. Trotzdem ist das Nachdenken über Wissenschaft – genau wie die Wissenschaften selbst – ständigen Veränderungen unterworfen.
Tatsächlich könnte man einen „Glaubenssatz“ als Basis aller (Natur-)Wissenschaften ansehen: Es ist die Überzeugung, die Welt sei letztlich erklärbar.9)
Vermutlich stimmten die meisten Wissenschaftler diesem Satz zu, auch wenn er nach meiner eigenen Erfahrung selten artikuliert wird. Es ist ja in der Praxis nichts, was man erst einmal aufgefordert würde zu glauben, um dann Wissenschaft betreiben zu können, sondern meist ist das eine Überzeugung, die man mitbringt, wenn man Wissenschaft betreiben möchte. Es ist vielleicht der „Überrest“ des kindlichen Fragens nach Antworten, um die Welt zu erklären.
Was die Wissenschaften als solche auszeichnet bzw. von anderen Erklärungsversuchen abgrenzt, ist ein Satz von Regeln und Schemata, wie wissenschaftliche Erklärungen aussehen dürfen. Dazu gehören Aspekte wie Formalisierung, Nachvollziehbarkeit durch Dritte - und eben die Beschränkung auf innerweltliche Ursachen.
Gerade letzterer Aspekt ruft von Seiten der Kritiker des Evolutionsparadigmas den meisten Widerspruch hervor, und hieran wird oft eine „weltanschauliche Komponente“ der Wissenschaften dingfest gemacht. Dem möchte ich entgegentreten. Diese Beschränkung auf innerweltliche Ursachen, also das, was gewöhnlich als methodischer Naturalismus bezeichnet wird, ist die wesentliche Grundvoraussetzung für die Entwicklung und den Erfolg der modernen Wissenschaften.
Was meine ich mit „Erfolg der modernen Wissenschaften“? Die Tatsache, daß unser gesamtes Leben (in der westlichen Welt) von Technik bestimmt und dominiert wird, die ohne eine auf diesem methodischen Ansatz gründende Wissenschaft nicht möglich wäre. Wenn die Technisierung unseres Alltags ein schlechtes Beispiel sein sollte: Erst dieser methodische Ansatz der Wissenschaften verhalf der modernen Medizin zum Durchbruch - zum Verständnis von Krankheiten und als direkte Konsequenz zur Bekämpfung derselben.
Eine wissenschaftshistorische Anmerkung: Zeitlich fällt die Entwicklung der Medizin in der westlichen Welt hin zu einer systematischen Untersuchung von Ursache-Wirkungs-Beziehungen von Krankheiten zusammen mit der Zeit nach der Publikation von Darwins Evolutionstheorie, also der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das ist für England von zahlreichen Wissenschaftshistorikern beschrieben worden10), dort ist die Reformierung des gesamten Lehrplans der Naturwissenschaften (und der Medizin) eng mit der Person Thomas Huxley verbunden - der aber, obwohl ein Verfechter von Darwins Ideen, Evolution nicht in den Kanon der von ihm reformierten Lehrpläne aufnahm. Dieser zeitliche Zusammenhang ist auch eher als Indiz für ein gesellschaftliches und geistiges Klima zu sehen, das beides ermöglichte: die Formulierung und Publizierung der Ideen Darwins mit dem bekannten großen Nachhall und Einfluß, und die Reformierung der naturwissenschaftlichen Ausbildung und deren Ausrichtung auf eine strenge Methodik mit dem Fokus auf Ursache-Wirkungs-Beziehungen und strikter Erklärbarkeit (auch außerhalb der Physik und Mathematik).
Eine wesentliche Grundlage der (Natur-)Wissenschaften11) ist der methodische Naturalismus deshalb, weil er letztlich zu einer Erklärung oder zumindest zu einem Erklärungsversuch eines Sachverhaltes zwingt. Der Verweis auf einen „Designer“ ist keine gültige Erklärung, wenn sie nicht weiter mechanistisch untersetzt wird.12)
“… any confusion between the ideas suggested by science and science itself must be carefully avoided.” Jacques Monod, Chance and Necessity, p. xiii.
Der methodische Naturalismus wird erst in der Überzeugung des jeweiligen Wissenschaftlers als Person zu einem ontologischen Naturalismus. Das mag naheliegen, ist aber nicht zwingend.
Wissenschaft per se ist hinsichtlich der Existenz höherer Wesen unentschieden. Sie äußert sich nicht dazu und ist grundsätzlich mit verschiedenen Formen des Theismus (Theismus, Deismus, Atheismus) kompatibel.
Natürlich gibt es Formen des Theismus, die im klaren Widerspruch zum aktuellen Kenntnisstand der Wissenschaften stehen. So kann die kurzzeitkreationistische Position, Gott habe die Welt vor weniger als 10.000 Jahren geschaffen, wissenschaftlich als widerlegt gelten. Natürlich ist jeder Mensch frei zu glauben, was immer er möchte. Nur wird eine solche Position13) eben aus Sicht der Wissenschaften nicht ernetgenommen werden.
Dem an der Thematik interessierten Leser seien die folgenden Bücher empfohlen: