Es herrscht unter Wissenschaftshistorikern weitgehend Einigkeit darüber, daß die Grundlagen dieser Synthese von sechs Persönlichkeiten gelegt wurden: der russisch-amerikanische Genetiker Theodosius Dobzhansky (1900-1975), der deutsch-amerikanische Systematiker Ernst Mayr (1904-2005), der britische Zoologe Julian Huxley (1887–1975), der amerikanische Paläontolge George G. Simpson (1902–1984), der deutsche Zoologe Bernhard Rensch (1900–1990) und der amerikanische Botaniker G. Ledyard Stebbins (1906–2000). Auch wenn die von ihnen im entsprechenden Zeitraum veröffentlichten Bücher (Dobzhansky 1937; Mayr 1942; Huxley 1942; Simpson 1944; Rensch 1947; Stebbins 1950) sehr wichtige Beiträge waren, besteht heute kein Zweifel, daß viele andere Biologen ebenfalls wichtige Beiträge leisteten (Kutschera und Niklas, 2004).
Die Hauptaussagen der Synthetischen Evolutionstheorie stellen die Grundlagen der modernen Evolutionsbiologie dar. Auch wenn manche dieser Prinzipien seit den 1940er Jahren erweitert, verdeutlicht oder modifiziert wurden, werden sie von den meisten gegenwärtigen Evolutionsbiologen als grundsätzlich gültig akzeptiert:
Der Phänotyp (beobachtete Eigenschaft) unterscheidet sich vom Genotyp (der Satz von Genen in der DNA eines Individuums); phänotypische Unterschiede zwischen einzelnen Organismen können teilweise durch genetische Unterschiede, teilweise durch direkte Einflüsse der Umwelt verursacht sein.
Einflüsse der Umwelt auf den Phänotyp eines Individuums beeinflussen nicht die Gene, die an seine Nachkommen weitergegeben werden. In anderen Worten: Erworbene Eigenschaften werden nicht vererbt.
Vererbbare Variationen haben ihren Ursprung in Teilchen — Genen —, die ihre Identität beibehalten, wenn sie durch die Generationen weitergegeben werden. Sie vermischen sich nicht mit anderen Genen. Das gilt sowohl für die diskret variierenden Merkmale (z.B. braune oder blaue Augen) als auch für kontinuierlich variierende Merkmale (z.B. Körpergröße oder Intensität der Pigmentierung).
Gene mutieren, normalerweise mit einer ziemlich geringen Rate, zu gleich stabilen alternativen Formen, den Allelen. Der Effekt solcher Mutationen auf den Phänotyp kann von nicht bemerkbar bis sehr groß reichen. Die Veränderung, die durch die Mutation entsteht, wird durch die Rekombination unter Allelen an verschiedenen Loci verstärkt.
Evolutionäre Veränderung ist ein Prozeß, der in Populationen abläuft: Sie zieht in ihrer grundlegendsten Form einen Veränderung der relativen Häufigkeiten (Proportionen oder Frequenzen) der individuellen Organismen mit unterschiedlichen Genotypen (und deshalb oft auch mit unterschiedlichen Phänotypen) innerhalb einer Population nach sich. Ein Genotyp kann schrittweise über mehrere Generationen hinweg durch andere Genotypen ersetzt werden. Dieser Austausch kann entweder nur in bestimmten oder in allen Populationen, aus denen eine Art besteht, stattfinden.
Die Mutationsrate ist zu klein, als daß Mutation alleine eine Population von einem Genotyp zu einem anderen verschieben könnte. Stattdessen kann die Veränderung der Verhältnisse der Genotypen innerhalb einer Population durch einen von zwei grundlegenden Prozessen stattfinden: Zufällige Fluktuationen in den Verhältnissen (genetische Drift) oder nichtzufällige Veränderungen durch die Überlegenheit eines Genotyps hinsichtlich Überleben und/oder Fortpflanzung im Vergleich zu anderen (d.i. natürliche Selektion).
Natürliche Selektion und genetische Drift können gleichzeitig am Werke sein.
Auch eine geringe Intensität der natürlichen Selektion kann (unter gewissen Umständen) zu entscheidenden evolutionären Veränderungen in einem realistischen Zeitfenster führen. Natürliche Selektion kann sowohl kleine als auch große Unterschiede zwischen Arten erklären, als auch die frühesten Stadien der Entwicklung neuer Merkmale. Adaptionen sind Merkmale, die durch die natürliche Selektion geformt wurden.
Die natürliche Selektion kann die Populationen über den ursprünglichen Bereich ihrer Variation hinaus verändern, indem sie die Frequenz von Allelen erhöht, die durch Rekombination mit anderen Genen, die dieselben Merkmale beeinflussen, neue Phänotypen hervorbringen.
Natürliche Populationen sind genetisch variabel und können so oft schnell evolvieren, wenn sich die Umweltbedingungen verändern.
Populationen einer Art in unterschiedlichen geographischen Regionen unterscheiden sich in den Merkmalen, die eine genetische Grundlage haben.
Die Unterschiede zwischen unterschiedlichen Arten, und zwischen unterschiedlichen Populationen derselben art, liegen oft in den Unterschieden von wenigen oder vielen Genen begründet, von denen viele einen kleinen Einfluß auf den Phänotyp haben. Dieses Muster stützt die Hypothese, daß kleine Unterschiede zwischen Arten durch eher kleine Schritte evolvieren.
Unterschiede zwischen geographischen Populationen einer Art sind oft adaptiv und daher das Ergebnis der natürlichen Selektion.
Phänotypisch unterschiedliche Genotypen finden sich oft in einer einzelnen untereinander kreuzenden Population. Arten werden nicht einfach anhand phänotypischer Unterschiede definiert. Vielmehr repräsentieren unterschiedliche Arten verschiedene „Genpools“. Das bedeutet, daß Arten Gruppen (potentiell) untereinander kreuzender Individuen sind, die keine GEne mit anderen solchen Gruppen austauschen.
Artentstehung (Speziation) ist der Ursprung einer oder mehrerer Arten von einem gemeinsamen Vorfahren. Speziation wird normalerweise durch die genetische Differenzierung geographisch getrennter Populationen hervorgerufen. Aufgrund der geographischen Trennung werden die beginnenden genetischen Unterschiede nicht länger durch Kreuzung verhindert.
Unter den lebenden Organismen gibt es viele Abstufungen in phänotypischen Merkmalen zwischen Arten, die derselben Gattung, unterschiedlichen Gattungen und unterschiedlichen Familien oder höheren Taxa zugeordnet werden. Solche Beobachtungen erbringen den Nachweis, daß höhere Taxa durch die anhaltende, schrittweise Anhäufung kleiner Unterschiede entstehen anstatt durch das plötzliche Auftreten grundlegend neuer „Typen“.
Die fossilen Funde weisen jede Menge Lücken zwischen ziemlich unterschiedlichen Arten von Organismen auf. Solche Lücken können durch die Unvollständigkeit der fossilen Funden erklärt werden. Aber die fossilen Funde enthalten ebenfalls Beispiele von Übergängen von offensichtlichen Vorläuferorganismen zu ziemlich unterschiedlichen Nachfolgern. Diese Daten unterstützen die Hypothese, daß die Evolution großer Unterschiede schrittweise erfolgt. Folglich scheint es möglich, die Prinzipien, die die Evolution von Populationen und Arten erklären, auch auf die Evolution höherer Taxa auszuweiten.
Zitiert nach Futuyma: Evolution. Sinauer, Sunderland 2005, S. 10f. Übersetzung durch den Autor dieser Seiten.